Signierboxen, Zweckoptimismus und der feine Unterschied
Ein Bericht von der Frankfurter Buchmesse von Günther Wildner
Die Frankfurter Buchmesse könnte man zehnmal oder auch gut öfter besuchen, die gleiche Ausgabe, ohne sich wiederholen zu müssen. So groß ist das Angebot an Ausstellern, Lesungen, Awards, Branchentalks, Workshops und Medienevents.
Dieses wichtigste globale Familientreffen der Buchbranche ist nur in individuellen Ausschnitten erlebbar und ergibt nach fünf Tagen 285.024 (Besucheranzahl) verschiedene Arten, die Messe zu sehen und zu nützen. Die umfängliche Medienberichterstattung fächert dieses Kaleidoskop nochmals bunter und breiter auf. An den Fachbesuchertagen hatte man den Eindruck, merkbar weniger gedrängt durch die Hallen eilen zu können als die Jahre davor, die Messe vermeldete einen Besucherrückgang von 0,5% bei einem Plus von 3% bei den Ausstellern.
Es erfolgten die üblichen Schwerpunktsetzungen. Den Messeveranstaltern ist die Einbettung in den großen gesellschaftlichen und politischen Kontext wichtig, Menschenrechte, Meinungsfreiheit. Die Funktion des Buches als nach wie vor funktionierendes, geistiges Weltverbesserungs-, Erkenntnis- und Emotionsgewinnungstool der individuellen und kollektiven Art kann gar nicht oft genug wiederholt werden. Diese Übung gelingt jedes Jahr sehr gut.
Die Buchverlage als Backbone der Branche präsentierten sich in gewohnter Art und Weise, mit mehr (China, Südostasien) oder weniger (GSA-Raum) Messestandbudgets – unerschütterlich mit im Gepäck ein in den letzten Jahren gut gelernter Zweckoptimismus. Trotz schwieriger Bedingungen aller Art können mit größerer Profilierung und Differenzierung der Programme die notwendigen Umsätze generiert werden. Der gesättigte Buchmarkt der westlichen Welt schüttet dabei sein Füllhorn nicht mehr großzügig aus, Erfolg will hart erkämpft sein. Neue Autoren_innen zu entwicklen wird immer herausfordernder, und die Verkaufszahlen eingeführter Autor_inne
n zu halten detto. Umso schöner, wenn zur Mutgewinnung der ganzen Branche einzelne Leuchtturmprojekte Möglichkeiten und Visionen innovativen Verlegens exemplifizieren, siehe Philipp Weiss‘ fünf Bände- und 1000 Seiten-Opus „Am Weltenrand …“ bei Suhrkamp – das ergab positiven Messetalk von der Lektorin bis zu den Lesern.
Von der Produktseite her suchen Verlage also, und das ist wahrlich nichts Neues, nur tatsächlich immer drängend formuliert, in Manuskripten und Karrieren das Besondere, das Außergewöhnliche, das auffallend und schnell vermittelbare Eigenständige. Solche Texte buchmarktkonform herzurichten und zu vermarkten bleibt weiter die verlegerische Aufgabe, die den feinen Unterschied macht! Es ist falsch, dass nur ein limitiertes, klar umrissenes Marketinginstrumentarium zur Künstler- und Contententwicklung zur Verfügung steht und von Verlagen einfach unterschiedlich angewendet und interpretiert wird. Vielmehr haben die Spieler mit vielen, sich rasch entwickelnden Marketingmöglichkeiten ein interessantes Feld an Artist Development-Tools zur Verfügung, das bei weitem nicht ausgereizt ist. Content ist King, innovatives Marketing sollte in der gleichen Königsklasse und Entscheidungsebene angesiedelt werden. More of the same und Schema F: Fehlanzeige!
Nicht nur die Angebotsseite ist entscheidend, sondern auch die Empfängerseite und so notierte HarperCollins UK CEO Charlie Redmayne bei seiner The Markets Conference-Keynote ins Stammbuch der Branche: “We need to understand as much as we can about our consumers and their behaviors.” Die Messe als Stimmungsbarometer von Verlegervisionen, als offener Think Tank und richtungsweisende Befehlsausgabestelle.
Der Lizenzhandel im Agenten Center und in den Hallen sowie im gepflegten Superiorambiente der Hotellerie scheint zu florieren, denn der Treibstoff der Branche muss fließen, goldene Zeiten für geldwerte Buchideen und zu versilberndes Handwerk.
Besonders ins Auge stach der neue Frankfurt-Pavillon auf der Agora. Er ist eine absolute Bereicherung als Veranstaltungslocation, punktet durch natürliches, offenes, einladendes Design. Überhaupt pulsierte und vibrierte die ausgelastete Agora wie nie zuvor, sicher dem warmen Traumwetter geschuldet, aber natürlich auch durch die dichte und abwechslungsreiche Bespielung aus Live-Buchkonsum und schmackhaft dargereichter Kulinarik.
Wer im Lesezelt der Agora Lieblingsautor_innen identifizierte, wurde heuer geordnet dem Signierprozess zugeführt. Den Adortierten konnte man in hübsch gezimmerten, von außen einsehbaren Boxen begegnen. So konnten Fans zivilisiert zum Talk mit der eben im Lesezelt gehörten Autorin schreiten bzw. dem geschätzten Schreiber Devotionalien zum Beschriften unterhalten. Das dann auch noch schön gebrandet (Yogi Tea) – Lesen und Tee gehen wunderbar Hand in Hand.
So war die Frankfurter Messe, wie gewohnt, ein verlässlicher Umschlagplatz für Ideen und konkretes Business, spann die reißfesten Fäden für die individuellen Netzwerkkonstrukteure vor Ort. Wenn man liest, was 2020 alles neu kommen soll, möchte man die Zeit schon vorausdrehen.
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Filmischer Rückblick auf die Frankfurter Buchmesse im Video der buchmesse.de
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